Resümee einer Mutter
Mi 9. Sep 2009, 00:33
heute, nein gestern, ist es auf den Tag genau 7 Monate her, dass unser Kind sich uns Eltern und seinem Bruder gegenüber geoutet hat. Geoutet, was für ein Wort. Eigentlich hat er sich offen zu dem bekannt was er ist, zu sich selber gestanden, offen, ehrlich, ohne falsche Zurückhaltung, Einfühlsam wegen der Namenswahl, mein erstes Kind eben zu dem immer eine ganz besondere Bindung bestand und besteht. Ich habe mich die letzten 2 Tage durch meine eigenen Postings gelesen um die Veränderung die auch ich dabei durchgemacht habe, zu sehen und zu spüren. Es hat innerlich Anfangs sehr sehr weh getan die einzige Tochter zu verlieren, diesen „kleinen Tod“ zu erleben. Die Menschen die als erstes davon erfuhren hatten so schreckliche eigene Probleme, dass sie für meine Probleme nicht wirklich da sein konnten und andere meine Verzweiflung geschickt für ihre eigenen Wahrheiten ausgenutzt haben. Sie bleibt ja derselbe Mensch waren Worte die mich trösten sollten. Gleichzeitig lag meine Mutter im Sterben, im Grunde starb sie 6 Jahre lang. 2 Menschen die mir mit die Wichtigsten und Liebsten in meinem Leben sind und waren. 2 Generationen und ich mittendrin. Den einen Menschen verlor ich ganz, den anderen als Tochter mit dem für mich schönsten Vornamen der Welt, verbunden mit über 24 Jahren Erinnerungen an die Tochter die ich geboren hatte. Ich saß im tiefsten Loch meines Lebens. Mein Mann und ich mussten erst mal alleine jeder für sich selber viele Gedanken sortieren. Ich machte mich im Netz für uns auf die Suche nach Informationen. Wir standen zwar sofort zu und hinter unserem Kind, denn sein Wohl, dass es ihm gut geht, dass er mit sich selbst und dem was er ist, ein glückliches Leben führen kann, steht absolut im Vordergrund. Aber dennoch musste grade ich als Mutter auch innerlich mit meinen eigenen Gefühlen, Ängsten, Zweifeln, Selbstvorwürfen und was da noch alles auf mich einstürzte zu Recht kommen. Bis ich 2 Monate später ein Angehörigen Forum fand, hatte ich zwar schon einiges an Informationen auch durch die Gespräche mit meinem Sohn, aber dennoch niemanden für mich, der einfach nur mal mich verstanden hat, wo ich mal meinen Tränen freien Lauf hätte lassen können, der meine Gefühle als Mutter mit mir hätte teilen können. Meinem Mann wollte ich das eher nicht zumuten. Dennoch hatte ich in diesen 2 Monaten eine liebe Bekannte (inzwischen Freundin) die mir unglaublich weiter half ohne zu wissen dass mein Kind TS ist. Sie hat mir beigebracht zu mir selber zu stehen, mir zu erlauben das zu tun was mir selber gut tut ohne immer Rücksicht zu nehmen, ohne sich schuldig zu fühlen, nicht darauf zu achten ob ich missverstanden werde, keine Angst vor negativen Reaktionen zu haben, wenn ich deutlich sage was ich selber möchte. Mich nicht schuldig zu fühlen, wenn ich nicht den Erwartungen von anderen an mich entspreche, auch und gerade hier in meiner Familie. Man hatte mir so eingetrichtert dass meine Probleme keine Probleme sind und ich nur auf Mitleid aus bin, dass ich es schon selbst glaubte. An dieser Stelle DANKE! für unser kleines Angehörigen Forum und für das erste wirkliche Auffangen. Inzwischen wird mir immer mehr klar welche Chance solch schwierige Lebenssituationen wie TS innerhalb einer Familie, im Freundeskreis und Umfeld für alle bieten. Man bekommt dadurch die Ehrlichkeit von Menschen hautnah zu spüren. Seit dem offiziellen Outing meines Sohnes im Familie- und Bekanntenkreis vor 3 Wochen gibt es Menschen die spontan anrufen, ihn bewundern für seine Offenheit und den Weg den er gehen will, seinen Mut. Aber gleichzeitig für mich als Mutter da sind, mir sagen und zeigen wie sehr sie mitfühlen bei dem was eine Mutter fühlt, sich einfühlen. Dafür bin ich grade sehr dankbar. Am Sonntag hat mich eine Freundin zu Tränen gerührt. Wir kennen uns seit der Schwangerschaft meines „jetzt“ Sohnes. Sie war damals mit einem Sohn schwanger, das Kind starb eine halbe Stunde nach der Geburt. Mein Kind kam 2 Tage später zur Welt unter den größten Ängsten, wir waren im selben Krankenhaus und ich hab so sehr mit ihr mit gelitten. Sie wusste es erst seit 3 Tagen und rief Sonntagmorgen spontan an: „seid ihr da? ich muss mal kurz für 10 Min. vorbei kommen und euch in den Arm nehmen. Wie muss dir als Mutter zumute sein“. Trotz eigener Termine backte sie einen Kuchen für mich und kam dann spontan vorbei, nahm mich in den Arm, ließ mich kaum noch los und wir heulten zusammen. Ich habe grade so viel zurückbekommen für mein Einfühlen in andere. Jemand der sich auch mal in mich einfühlt, der für mich da ist und zuhört. Sie ist glaube ich die Einzige die sofort die Tragweite verstanden hat, die damit für die Eltern, Geschwister und für den Betroffenen selbst verbunden ist. Es gibt wieder einige Menschen die mir sagen und zeigen wie gern sie mich haben, wie wichtig ich ihnen bin und für mich da sind. Ich hab das eher immer für andere Menschen gemacht und mir fällt es tatsächlich schwer das anzunehmen, aber innerlich berührt mich das unglaublich. Ich kann mich grade sehr glücklich schätzen und die 1/4 Jahrhundert Freundschaft wird demnächst gefeiert haben wir heute spontan beschlossen. Mütter aus der Familie, aus unserem Umfeld/Bekanntenkreis die mir spontan ihr Ohr anbieten, anrufen und fragen wie es mir bei all dem geht, die sich im Internet informieren. Eine 21jährige Kollegin ist jetzt meine „Addotochter“, dass finde ich besonders süß diesen einfühlsamen Trost den ich da bekam. Eine Kollegin die hörte dass ich alleine von meiner Familie übrig geblieben bin und für meine Mutter entscheiden musste, künstliche Ernährung ja oder nein, sagte spontan: dann bin ich jetzt deine Schwester. Alles unglaublich liebe bewegende Reaktionen um mich zu stärken. Ich wusste nicht, dass so viele Menschen mich wertschätzen, meinen Sohn bewundern für seinen Mut und den Weg den er geht. Wir werden sicher noch einiges im Laufe der Zeit erleben und bestimmt nicht nur positives. Aber momentan sind wir alle durch diese Reaktionen wunderbar gestärkt. Die letzten 14 Tage und ganz besonders die letzten beiden Tage flossen hier unheimlich viele Tränen bei mir. Genau diese Reaktionen die nun kommen, hätte ich am Anfang so sehr gebraucht. Umso mehr freut und berührt es mich, dass ich als Mutter das jetzt erleben darf. Vielleicht habe ich auch am Anfang keinen Blick mehr für diese wichtigen kleinen positiven Dinge gehabt. Irgendwie erschlugen mich sämtliche Probleme dieser Welt, so fühlte es sich zumindest für mich an. Dennoch denke ich es hat mehr damit zu tun, dass ich wieder zu mir selber stehen kann. Vermutlich strahlt man dadurch auch wieder etwas ganz anderes aus. Geholfen hat mir auch und ebenso meinem Mann, dass hier nach und nach die Freunde meines Sohnes hinkamen. Sie werden hier so angenommen wie sie sind, denn wir alle sind ja einfach nur Menschen. Ebenso die Stammtischtreffen. Zu sehen und zu erleben, es sind alles liebenswerte Menschen mit großer Sensibilität, die offen sämtliche Fragen beantworten, ob über ihren Lebensweg oder auch die OP’s und ihr Umfeld. Zu sehen, dass später niemand in der Gesellschaft mehr sehen kann, welchen Weg sie gegangen sind um das zu werden was sie sind. Männer oder Frauen eben. Auch wenn es mir immer noch schwer fällt mir mein Kind vorzustellen, wie er später einmal aussehen wird.
An dieser Stelle ganz lieben Dank an Christina und Louis, für eure Ohren und Arme, für eure Offenheit, dafür dass ihr zu euch selber steht und mit euren Erfahrungen vielen Menschen zur Seite steht. Ich musste das als kleines Fazit für mich selber aufschreiben und ich kann nur aus meinen eigenen Erfahrungen heraus jedem empfehlen zu sich selbst zu stehen. Ich wusste nicht was das auslösen kann. Ich kann jetzt auch nicht unbedingt sagen, dass ich nun absolut glücklich bin, aber ich bin sehr gestärkt für alles weitere was noch kommt und Menschen haben mir Verlässlichkeit und Sicherheit geschenkt die mir lange Zeit fehlte. Wir selber als Familie haben unheimlich viel über uns selber gelernt und ich denke da wird noch einiges kommen durch den Weg den wir mit unserem Sohn gemeinsam gehen. |