Warum ich 39 Jahre gebraucht habe, um glücklich zu werden
von Jennifer
An einem frühen Morgen im Jahr 1953 habe ich den Bauch meiner Mutter nach 9-monatiger Produktionszeit als Säugling männlichen Geschlechts verlassen.
Ich kann mich zwar nicht mehr genau erinnern, aber ich glaube die Freude meiner Eltern muss wohl ziemlich groß gewesen sein.
Die ersten Jahre habe ich wohlbehütet mit Essen, Rülpsen, Schlafen, Schreien, Lachen, Spielen, Kriechen, Laufen usw. verbracht.
Mit dreieinhalb hat mich meine Großmutter in Mädchenkleider gesteckt und beim Fotografen Bilder machen lassen. Es hat mir anscheinend gefallen, denn ich mache auf den Fotos einen fröhlichen Eindruck. Was meine Großmutter zu dieser Aktion bewegt hat, kann (oder will) mir bis heute keiner erklären. Auf anderen Aufnahmen aus dieser Zeit bin ich immer mit einem Pagenschnitt als Frisur zu sehen. Also nicht unbedingt eine knabenhafte Frisur.
Im Alter von 5 Jahren sind wir dann bedingt durch den Job meines Vaters ins Ausland umgezogen. In den nun folgenden 5 Jahren habe ich eine unbeschwerte und in der Erinnerung schöne Kindheit im Land der Windmühlen verbracht.
In dieser Zeit habe ich mich spielerisch ganz gern mal in der weiblichen Rolle geübt. Meine Eltern schoben diese Vorliebe allerdings dem vererbten schauspielerischen Talent meiner Großmutter zu. Auch meine Vorliebe am Anziehen der herrlich glatten und zarten Nylonstrümpfe meiner Mutter fand keine allzu große Beachtung. Wenn meine Vorliebe allerdings Laufmaschen produzierte, war das Geschrei groß. Nylonstrümpfe waren Ende der 50er Jahre noch sehr teuer.
Mein weiteres Leben verlief bis auf den Umzug in eine norddeutsche Kleinstadt ohne erwähnenswerte Vorkommnisse. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass meine Leidenschaft für feminine Bekleidung in dieser Zeit groß in Erscheinung trat.
Das änderte sich aber schlagartig mit Beginn der Pubertät.
Mit 12 habe ich mir – wenn immer möglich – heimlich den „Playboy“ meines Vaters angeschaut und war total begeistert und hingerissen von der Schönheit der abgebildeten Damen. Da mein Vater in der Modebranche tätig war lagen bei uns natürlich auch alle möglichen Modemagazine rum, in denen es nur so von eleganten, attraktiven Frauen wimmelte. Anfang der 60er Jahre war die Damenmode noch wesentlich femininer als heute.
In meinen Tagträumen wollte ich auch so aussehen.
Wenn ich allein zuhause war, fing ich an, getrieben von meiner Phantasie die Wäsche meiner Mutter anzuziehen. Dies beschränkte sich jetzt allerdings nicht nur auf die Nylons. Nein, jetzt zog ich Hüfthalter mit Strümpfen, einen mit Socken ausgestopften BH, Rock, Bluse und Pumps (damals hatte ich noch die ideale Schuhgröße) meiner Mutter an. Ich fühlte mich einfach großartig und war total in mich verliebt. Ich wollte ein Mädchen sein!
Ich hatte mir mittlerweile einen Hüfthalter und Nylonstrümpfe von meiner Mutter stiebitzt. Diese Sachen trug ich nun begeistert und glücklich unter meiner normalen Bekleidung.
An einem Abend spielte ich auf dem Fußboden mit unserem Hund. Mein Pullover war wohl etwas hochgerutscht und meine Mutter, die auf einem Stuhl am Esszimmertisch saß, sah auf meinem Rücken weiße Spitze.
Meine Schätze war ich los. Wegen Diebstahls wurde ich zu zwei Wochen Stubenarrest verdonnert.
Über das Warum und Weswegen wurde nicht gesprochen. Das Thema war zu peinlich.
Da meine Ausstattung mit Taschengeld sehr mager war, blieb mir nichts anderes übrig, als mir eine neue Grundausstattung an weiblicher Kleidung in einem Kaufhaus zu klauen. Ich erinnere mich, dass ich bei dieser zugegebenermaßen unkonventionellen Beschaffungsmaßnahme ordentlich ins Schwitzen geraten bin. Aber es ging gut.
Meine neuen Errungenschaften wurden an einem sicheren Ort versteckt und nur noch mit äußerster Vorsicht aber umso größerem Wohlbehagen getragen.
Ein weiterer Umzug nach Bayern stand an und das Thema Damenkleidung dümpelte so vor sich hin. Die ersten Freundinnen kamen und gingen. Meine Leistungen auf dem Gymnasium wurden immer schlechter. Das Verhältnis zu meinen Eltern auch.
Die weibliche Seite in mir kam und ging wie eine Wellenbewegung. Seltsamerweise hatte mich mein teilweises Gefühlchaos bis zu diesem Zeitpunkt nie groß belastet.
Das sollte sich nach einem weiteren Umzug in eine andere süddeutsche Stadt ändern.
Meine Mutter hatte mich wieder mit weiblicher Unterwäsche erwischt und war jetzt auch den Gründen nachgegangen. Unter Tränen kam das Geständnis von mir: „Ich möchte lieber ein Mädchen sein“.
Jetzt brach natürlich die absolute Ratlosigkeit aus. Unser Hausarzt, ein Mann von beinahe 70 Jahren, wurde konsultiert, untersuchte meinen Penis und kam zu der Diagnose, dass alles normal sei. Großes Aufatmen bei allen Beteiligten, außer mir. Ich hatte in Magazinen einige Berichte über Frauen gelesen, die mal Männer gewesen waren. Diese hatten mich fasziniert, hier fand ich mich wieder. Aufgrund meiner Einwände, dass die ganze Geschichte nicht unbedingt allein was mit meinem Penis zu tun hat, wurde die psychologische Abteilung der örtlichen Uniklinik eingeschaltet. Wir schrieben mittlerweile das Jahr 1970. Man ließ mich Bäumchen malen, fragte mich komische Sachen und entließ mich mit der Diagnose, dass ich bis auf meinen Spleen doch eigentlich ganz normal sei. Es würde sich schon alles wieder geben.
In dieser Zeit sah ich durch meine langen Haare wohl sehr feminin aus, was dazu führte, dass ich zwei
mal von Männern angebaggert wurde. Ich habe mich anfänglich auch nicht gesträubt, aber nach einer
halben Stunde war klar, dass ich mit Männern sexuell nichts am Hut habe, was sich übrigens bis heute nicht geändert hat.
Mein Leben plätscherte so dahin. Da Frauen im Dutzend anbaggern, wie meine Freunde das machten, noch nie mein Ding war, waren meine sexuellen Abenteuer eher bescheiden. Meine Achtung vor den Mädchen war einfach zu groß, um ihre Gefühle für ein kurzes Abenteuer zu missbrauchen. (Ich weiß, das war an Naivität und Edelmut nicht zu toppen!)
Meine Mutter hatte mir freundlicherweise zwischenzeitlich, vermutlich mit dem Hintergedanken, dass sich das Thema vielleicht doch noch in Wohlgefallen auflöst, eine Grundausstattung weiblicher Wäsche vermacht. Ich konnte also mit dem Segen meiner Mutter meine weibliche Seite im stillen Kämmerlein ausleben. Mein Vater wusste nichts von dieser Geschichte.
In der Zwischenzeit hatte ich meine Lehre beendet und betätigte mich in allen möglichen Jobs. Meine weibliches Ich war für drei, vier Jahre total verschwunden. Die Kleidung war entsorgt worden. Ich hatte meine erste Frau kennen gelernt, wurde zum Zivildienst an den Starnberger See einberufen und heiratete.
Zwischenzeitlich hatte sich, sozusagen durch die Hintertür, mal wieder mein feminines Ich eingeschlichen. Es begnügte sich erst mal mit dem Tragen von Strumpfhosen unter der normalen Kleidung. Meine Frau habe ich natürlich nicht an meiner Gefühlswelt teilhaben lassen. Die berühmte Angst vor den Konsequenzen. Soviel zum Thema: „Männer und Feigheit“.
Der Zivildienst ging zu Ende, meine Ehe auch. Die Gründe hatten nichts mit meiner Veranlagung zu tun.
Ich behielt unsere Wohnung, meine Frau zog aus. Jetzt hatte ich freie Bahn. Meine weibliche Komponente bekam Oberwasser. Und wie!
Per Versandhaus wurde eine Komplettausstattung inklusiv Perücke geordert. Mit den Schuhen wurde es etwas schwieriger. Ich war inzwischen bei Schuhgröße 43 gelandet. Ich habe meine armen Füsse dann in etwas konservativ aussehende 42er Damenschuhe gequetscht.
Wer schön sein will, muss ja bekanntlich leiden!
Kosmetika habe ich mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt im Supermarkt eingekauft. An der Kasse habe ich dann mein arrogantestes Gesicht aufgesetzt. Kein Mensch traute sich, einen dummen Kommentar abzugeben.
In einem Zeitraum von ca. 8 Monaten habe ich in jeder freien Minute mein weibliches Ich ausgelebt. In Kleidungsfragen war ich von Anfang an schon ziemlich stilsicher. Die pubertäre Phase, von der viele Schwestern berichten, mit superkurzem Mini zu halterlosen Netzstrümpfen in Verbindung mit 15 cm High Heels und Federboa habe ich offensichtlich übersprungen.
Beim Schminken hatte ich innerhalb kurzer Zeit ebenfalls eine gewisse Perfektion erlangt.
Nur, es passierte alles in meinen vier Wänden. Für Ausflüge fehlte mir einfach der Mut! Selbsthilfegruppen gab es Ende der 70er Jahre wahrscheinlich noch keine. Die Situation hat mich aber auch nicht weiter belastet. Ich war zufrieden mit dem was ich hatte.
Es kam was kommen musste. Um nicht sozial total zu vereinsamen, bin ich wieder auf die Piste gegangen und habe prompt eine Frau kennen gelernt, die mir ganz gut gefiel. Im Rückblick weiß ich nicht mehr, welcher Teufel mich damals geritten hat. Jedenfalls haben wir nach einem Jahr geheiratet.
Von meinem „Spleen“ habe ich aus o.g. Gründen natürlich nichts erzählt.
Sie ist von selber drauf gekommen. Wie das ganze abgelaufen ist, fällt mir beim besten Willen nicht mehr ein. Jedenfalls wurde der Familienrat einberufen, d.h. sie hat meine Eltern über meine, ich zitiere
„perversen Spielchen“ informiert. Meine Eltern haben sich erstaunlich diplomatisch verhalten. Der ziemlich hilflose Ratschlag meines Vaters lautete: „Es ist alles erlaubt, wenn es beiden Spaß macht“. Das Thema wurde von da an totgeschwiegen.
Es war aber auch der Anfang vom Ende meiner 2. Ehe, die aber letztlich ein Jahr später wegen anderweitiger Orientierung meiner Frau scheiterte.
Ich habe innerlich das Kreuz geschlagen und mir einen neuen Job im Außendienst gesucht, der mich nach Frankfurt/M. führte.
In der 6 monatigen Probezeit habe ich ausschließlich in Hotels geschlafen. Ich konnte mich also jeden Abend in aller Ruhe umziehen und im Hotelzimmer mein Leben als Frau führen. Auf die Strasse getraut habe ich mich nach wie vor nicht.
Im Mai 86 war ich beruflich zwei Wochen auf einer großen Fachmesse in Düsseldorf. Mit drei Kollegen machte ich während dieser Zeit die Düsseldorfer Altstadt unsicher. Am Abend eines für mich äußerst erfolgreichen Tagen lernte ich in einer Kneipe meine jetzige Lebenspartnerin kennen und lieben.
Mein feminines Ich verschob sich wieder mal etwas in den Hintergrund, aber nicht total wie in der Vergangenheit.
Durch meinen Vertriebsjob hatte ich ja nach wie vor die Möglichkeit, mein Doppelleben weiterzuführen.
In Hotels fuhr ich mittlerweile mit doppeltem Gepäck vor.
Ich weiß nicht, was die Leute gedacht haben, wenn ich mit vollbeladenem Caddy für eine Übernachtung in der Lobby einlief. Es war mir auch egal.
In der offiziellen Mundart zuhause, war in den Koffern Demomaterial, das ich für meine berufliche Tätigkeit benötigte.
Meine Welt war eigentlich ganz in Ordnung. Durch meine berufliche Tätigkeit war ich bundesweit unterwegs und stieg nun bevorzugt in Motels ab. Ich war nämlich mutiger geworden, und fing mit abendlichen Ausflügen en femme an. Motels sind dafür ideal, denn das Auto steht in der Regel direkt vor dem Zimmer. Ich fuhr also bevorzugt in ruhige Wohnviertel und machte innerlich total aufgewühlt meine abendlichen Spaziergänge. Genoss es wenn der Wind um meine nylonbestrumpften Beine strich. War aufgeregt, wenn mir jemand entgegenkam und mich als Frau grüßte. Negative Reaktionen gab es eigentlich nie.
Zwei Erlebnisse möchte ich noch von meinen Ausflügen erzählen.
Ich war wieder einmal im Motel der Raststätte Leipheim abgestiegen, hatte mich geschminkt, angezogen und war zu einem kleinen Ausflug gestartet. Es war Sommer, es war noch hell als ich losfuhr. Auf einem befestigten Feldweg habe ich dann stolz und aufgeregt zugleich einen halbstündigen Spaziergang gemacht. Bei meiner Rückkehr ins Motel dämmerte es schon leicht. Ich schloss meinen Wagen ab und betrat mein Zimmer. Die Tür war noch nicht ganz geschlossen als das Telefon klingelte und eine Männerstimme fragte nach einer attraktiven jungen Dame, die er gerade beim Betreten des Zimmers gesehen hatte und die er gern auf ein Getränk einladen würde. Als ich entgegnete, dass es hier keine junge Dame gäbe, war der Gute dermaßen verunsichert, dass er anfing zu stottern. Leute gibt’s.
Die zweite Story hat sich in einem Motel in Muggensturm in der Nähe von Karlsruhe ereignet. Ausgangssituation wie oben. Ausflug am Abend en femme nach Karlsruhe. Rückkehr im Dunkeln. Ich fuhr damals ein Mercedes Coupe. Auf dem Hof des Motels stand eine Gruppe verwegen aussehender Harley Fahrer. Ich rauschte so schnell wie möglich in mein Zimmer. Tür abgeschlossen. Zwei Minuten später klopft es und eine männliche Stimme meinte, ich solle doch mal raus kommen. Leute, ich kann euch gar nicht sagen wie mir die Düse ging. Ich habe nicht reagiert. Es ist aber auch weiter nichts passiert.
Am nächsten Morgen beim Frühstück erfuhr ich von einem anderen Gast, dass dieses Motel auch gern als Stundenhotel benutzt wird. Gelegentlich würden auch mal Rocker vorbei kommen und kontrollieren, ob sich privat arbeitende Damen anbieten. Glück gehabt!
Meine Frau ahnte nach wie vor nichts von meinem Doppelleben. Dies sollte auch bis 1993 so bleiben. Unsere Beziehung war nach 7 Jahren in eine leichte Krise geraten. Ich hatte ein platonisches Verhältnis zu einer Hotelierstochter. War irgendwie eine seltsame Geschichte. Wir mochten uns, wir redeten nächtelang, telefonierten stundenlang, aber sonst passierte nichts.
Frauen haben ja angeblich einen siebten Sinn. (Habe ich übrigens auch!) Also, meine Frau wurde durch Anrufe auf meinem Handy auf die Geschichte aufmerksam.
An einem Samstagmorgen, es war der 07.06.1993, geschah etwas, dass mein weiteres Leben grundlegend verändern sollte.
Meine Frau stand um 10:00 im Schlafzimmer und gab mir mit emotionsloser Stimme zu verstehen ich möge doch bitte mal mit runterkommen, es gäbe da etwas, was sie nicht verstehen würde. Ich schlürfte verschlafen hinter ihr her die Treppe runter.
Mit einem Schlag war ich hellwach. Im Flur stand einer meiner Pilotenkoffer, in denen ich meine Zweitgarderobe transportierte. Er war offen und davor lag ein Paar schwarzer Pumps, die nicht meiner Frau gehörten.
Mein Doppelleben war aufgeflogen!
Auf der einen Seite die Katastrophe, auf der anderen Seite die Erleichterung, dass das Versteckspiel ein Ende hatte! Ich hatte mich in den vorhergehenden Wochen immer öfter, wenn meine Frau ins Bett gegangen war, umgezogen, und so im Wohnzimmer ferngesehen. Ich glaube heute, dass ich entdeckt werden wollte. Für ein outing hat mir ja wie schon öfter der Mut gefehlt.
Ich habe wohl einen ziemlich jämmerlichen, niedergeschlagenen und traurigen Eindruck auf meine Frau gemacht. Jedenfalls ergriff sie die Initiative zum Gespräch.
Anfangs noch stockend, doch dann sprudelte es wie ein Wasserfall aus mir heraus, was mich belastete, meine Ängste das ganze aufgestaute Elend. In diesem Augenblick war es mir glaube ich auch egal, ob ich mich um Kopf und Kragen redete.
Für meine Frau war das ganze schon ein Schock, hinzu kam noch die Enttäuschung über den Vertrauensbruch. Aber anscheinend war das ganze leichter zu ertragen als eine Nebenbuhlerin, denn sie nahm die Herausforderung an sich mit einer imaginären Person auseinander zu setzen.
Wir haben in der ersten Zeit unheimlich viel über die ganze Thematik geredet. Für einen Menschen, der sich damit noch nie auseinandergesetzt hat, ist das ganze schon schwer zu verstehen.
Unsere Beziehung änderte sich grundlegend. Ich, der bisher immer den Parademacho gegeben hatte, um ja keinen Zweifel an meiner Männlichkeit aufkommen zu lassen, konnte mich auf einmal einfühlsam, sanft, ja einfach so geben wie ich wirklich empfand. Für meine Frau war ein neuer, wesentlich liebevollerer Mensch und Lebenspartner geboren. Wenn ich zwischendurch noch mal so meine Anwandlungen habe, heißt es heute: „Na, ist Dein böser Bruder wieder da?“ Es hat sich unheimlich viel zum Positiven gewandelt. Es wurden auch Eigenschaften von mir erklärbar, wie z.B. meine Liebe für Damenschuhe. Ich hatte meine Frau immer, und tue es auch heute noch, mit Pumps oder Sandaletten ausgestattet, die ich besonders schön fand. Gleiches gilt auch für Strümpfe oder Strumpfhosen. Selbst bei Make Up wird mein Rat gerne in Anspruch genommen.
Nicht, dass hier falsche Vorstellungen aufkommen, meine Frau ist eine attraktive, selbstbewusste moderne Frau. In Ihrem eigenen Unternehmen steht sie jeden Tag ihre Frau.
Wir hatten vereinbart, dass meine Frau den Startschuss gibt, um sich auch optisch mit meiner weiblichen Seite auseinander zu setzen. Nach erstaunlich kurzer Zeit kam die Neugier auf Jennifer, und somit der Startschuss.
Als ich dann etwas unsicher als Jennifer ins Wohnzimmer kam, war meine Frau sprachlos. Damit hatte sie nicht gerechnet. Eine klassisch elegant gekleidete und perfekt geschminkte junge Frau von 39 Jahren stand vor ihr. Der Kommentar meiner Frau war: „Toll, Dich hätte ich auf der Strasse nie erkannt. Ich hatte Angst davor, Dich in einem lächerlichen, tuntenhaften Aufzug zu sehen“. Das Eis war gebrochen und Jennifer, wie ich mich seither nenne, geboren.
Meine Frau hat dann auch Fotos von Jennifer gemacht, ich kannte mich ja nur aus dem Spiegel und da sieht man ja bekanntlich das was man sehen will. Als ich die Aufnahmen beim Fotografen abholte, war ich von dem Ergebnis so überwältigt, dass mir die Tränen kamen. Das auf den Fotos sollte ich sein, ich konnte es nicht glauben. Es war ein wahnsinniges Gefühl!
Meine Frau informierte sich nun an allen möglichen Stellen. Auf eine Annonce in der Zeitschrift „Freundin“, in der sie Kontakt zu anderen Frauen in gleicher oder ähnlicher Situation gesucht hatte, kamen einige Zuschriften, die schlussendlich nicht groß weiterhalfen.
Eine Zuschrift kam von der Redaktion der Talkshow „Vera am Mittag“, die einen Beitrag zum Thema „wenn Männer Röcke tragen“ machen wollten. Nach langem Hin und Her, wir wollten sichergehen, dass mit unserem Thema behutsam umgegangen wird und wir nicht vorgeführt werden, haben wir uns dann entschlossen, an der Sendung teilzunehmen. Es war ein voller Erfolg und ein wunderschönes, von SAT1 gesponsertes verlängertes Wochenende in Potsdam.
Wir hatten auch noch berücksichtigt, dass meine Schwiegermutter, eine bekennende „Vera am Mittag“ Guckerin, am Sendetermin im Urlaub war. Was wir allerdings nicht wussten, war die Tatsache, dass unsere Sendung in der Sommerpause im Juli wiederholt wurde…!
Was folgte, war der aufgeregte Anruf von einer Tante meiner Frau bei meiner Schwiegermutter, sie möge doch bitte den Fernseher einschalten. Am Abend kam schließlich der Anruf meiner Schwiegermutter mit der Frage, was wir uns denn dabei denken würden, die Leute im Fernsehen so auf den Arm zu nehmen. Sie hätte sich jedenfalls köstlich amüsiert.
Meine Frau war übrigens trotz Perücke erkannt worden. An der Stimme.
Bei einem Besuch ihrer Mutter hat meine Frau dann behutsam Aufklärungsarbeit in Sachen „Jennifer“ betrieben. Das Ergebnis war, dass Jennifer zu Weihnachten einen wunderschönen goldenen Ring mit einem silbernen Herzchen bekam. Auch in der Folgezeit wurde ich hin und wieder mit einem neuen Oberteil oder ähnlichem bedacht. Auch von meiner Frau wurde ich nun mit ausgesuchter Damenkleidung versorgt. Auch die Beschaffung eleganter Damenschuhe in Größe 43 bereitet heute keine Probleme mehr.
Jennifer war von nun an festes Mitglied unseres Haushalts. Wir machten gemeinsame Spaziergänge in der Stadt und auf freiem Feld. Es gab Zeiten, in denen Jennifer öfter zu Besuch kam und es gab Zeiten, in denen sie sich rar machte.
Es gab aber auch Zeiten, in denen Jennifer, das Luder, für uns zum Problem wurde, nämlich wenn ich Phasen hatte, in denen ich lieber mein weiteres Leben als Frau geführt hätte. Einmal war ich an dem Punkt, an dem ich fachfrauliche Hilfe in Anspruch nehmen musste. Ein Geschlechtstest hatte das Ergebnis „wahrscheinlich transsexuell“ ausgespuckt. Ich weiß nicht warum mich dieses Ergebnis dermaßen aus der Spur gehoben hat, denn ich war ja selbst davon überzeugt, dass ich eine stark ausgeprägte transsexuelle Tendenz aufweise. Jedenfalls bin ich zu einer Person in die Sprechstunde gegangen, die mit unserer Thematik vertraut ist und schon einige TS auf ihren Wegen durch die Instanzen begleitet hat. Die ersten Sitzungen waren noch ganz interessant aber dann trat das ganze auf der Stelle. Es waren für mich keine verwertbaren Fortschritte erkennbar. Daraufhin habe ich die ganze Geschichte abgebrochen.
Die Liebe meiner Frau zu mir muss sehr groß sein, denn sonst hätte sie diese Phasen nicht mit mir durchstehen können.
Ich bin ein ziemlich pragmatischer Mensch, der genau Für und Wider abwägt und immer wieder zum Schluss gekommen ist, dass es einen anderen Weg, als den der endgültigen Entscheidung für eine Seite geben muss.
Vielleicht war auch die innere Not nicht groß genug, um die Angst vor den Konsequenzen zu besiegen.
Als Mann bin ich in der bemitleidenswerten Situation, dass ich jetzt für zwei Frauen sorgen muss. Und Frauen kosten Geld, ich sag’s euch! Aber trotzdem, ich liebe sie beide, jede auf ihre Art. Meine Frau, weil sie mir mit ihrer Geduld, mit ihrem Verständnis und mit ihrer Liebe mehr gibt als man vielleicht erwarten darf. Jennifer, weil sie ein Teil von mir ist, mit dem ich hoffentlich endlich Frieden geschlossen habe.