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Hilfe – Stimmbruch !!!

Hilfe – Stimmbruch!!!

von Carlo

Kurz bevor ich mir meine erste Testosteron – Spritze holte, wurde mir ein Problem be-wusst (danke nochmals an David und Franziska) – ich habe einen Sprechberuf und war drauf und dran mich mit dem größten Vergnügen in den Stimmbruch zu bringen! Was Stimmbruch bedeutet, weiß ich. Mein ältester Sohn ist 15 Jahre alt – ich erlebe es also gerade live.

Die Stimme wird rauh, heiser, brüchig, instabil und ist in der Leistungsfähigkeit einge-schränkt. Sie kippt zwischen der bereits männlichen, tiefen Stimmlage und der hohen Kin-derstimme unkontrolliert hin und her. Wir verstehen das „Gebrumme“ unseres Sohnes mitunter schwer und er hört auch nicht immer ganz so gut wie früher.

Da ich meinen Job sehr gerne mache und mir einbilde zumindest sehr schwer ersetzbar zu sein, begann ich zu überlegen, wie ich den Stimmbruch ohne Arbeitsunfähigkeit über-stehen könnte. Als Ansprechpartner schien mir durchaus ein Logopäde geeignet zu sein. Logopäden beschäftigen sich mit Diagnostik, Therapie und Beratung bei Patienten mit Störungen der Stimme, der Sprache, des Sprechens sowie des Gehörs.

Also marschierte ich schnurstracks in unser Ärztehaus und hatte Glück. Eine junge Frau – die Logopädin – war sofort bereit, mir 5 Minuten zu widmen. Ich erklärte ihr kurz und bün-dig die Situation – Transmann, Hormone, Stimmbruch, Sprechberuf. Nach kurzer Nach-frage und Überlegung war sie bereit mir zu helfen. Als erstes musste ich mir allerdings eine Verordnung von einem Arzt (am besten HNO-Arzt) besorgen.

Das nahm ich einen Tag später im selben Ärztehaus in Angriff. Meine Glückssträhne hielt an. Der Arzt ist nicht nur Facharzt für HNO-Erkrankungen sondern auch Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie (Sprachstörungen…). Nachdem er verstanden hatte, dass ich Frau zu Mann Transident bin (er kannte bisher nur die umgekehrte Richtung), begann er zu überlegen, wie wir vorgehen könnten. Das Erheben des Ausgangsstatus kann ja nie verkehrt sein. Mit dem Endoskop sahen wir uns also den Kehlkopf und die Stimmlippen in Aktion auf dem Bildschirm an. Was er sonst noch so überprüft hat, habe ich glatt verges-sen. Dieser Stab in meinem Hals hat alle anderen Erinnerungen verdrängt. Da eine Ver-ordnung bezüglich der Änderung der Stimme bei Transsexualität für ihn Neuland war, er-bat er Zeit zum Nachlesen. Nach einer Woche wurde noch ein Hörtest gemacht und dann hielt ich die Verordnung in der Hand.

Sofort ging es wieder zur Logopädin. Diese suchte in ihrem vollen Terminkalender und schob die ersten beiden Termine noch irgendwo zwischen. Ich hatte es nämlich inzwi-schen eilig. Das Sustanon wirkte schneller auf meine Stimme als ich es erwartet hatte. Schon 14 Tage nach der ersten Spritze begann ich spürbar heiser zu werden und das Sprechen am Telefon war nur noch anstrengend.

Auch die Logopädin stellte in der ersten Stunde den Status fest – Text lesen, laut rufen, Tonleitern nachsingen, Fragebogen ausfüllen. Dann machte sie einige kurze Übungen mit mir, um herauszubekommen inwieweit ich meinen Körper, meine Atmung, meine Stimme wahrnehme. Da ich als Kind lange Jahre im Chor gesungen habe und als Medizinstudent viel an mir selbst geübt habe, gab es da keine Probleme und kaum Übungsbedarf. So konnten wir in der zweiten Stunde voll einsteigen. Aber darüber später mehr.

 

Mein Weg zur tieferen Stimme

Auf der Heilmittelverordnung des HNO-Arztes ist folgende Diagnose zu lesen:

„kombinierte organisch – sekundär hyperfunktionelle Dysphonie, unangepasste er-höhte mittlere Spechstimmlage bei Transsexualität, Hyperf. + verkürzte THD in Stimmlagensenk. Mit tremoloart. Degliss. “

– frage mich niemand, was das genau bedeutet.

Als Therapieziel ist vermerkt: „Abbau der Hyperfunktion, Absenkung der mittleren Sprechstimmlage, Anpassung der Atmung“

– das ist schon eher verständlich.

Und meine Logopädin hatte auch gleich jede Menge Ideen, was man zur Erreichung des Therapieziels alles tun könnte.

Als erstes bekam ich Grundregeln mit auf den Weg:

  1. Bei Druck-, Kloß-, Engegefühl im Hals – nicht räuspern, sondern schlucken. Also möglichst immer etwas zum Trinken oder zum Lutschen griffbereit haben.
  2. Nicht flüstern – das überanstrengt die Stimmlippen.
  3. Aus dem Bauch heraus atmen.
  4. Den Resonanzbereich vergrößern, d.h. gerade halten (also Brust raus – auch wenn wir das hassen).

Dann erläuterte sie mir den Zusammenhang zwischen einer entspannten Muskulatur und der Stimmqualität. Ich war anfangs recht skeptisch, vertraute mich ihren Künsten aber an. So begann jede unserer Übungsstunden mit einer sehr ruhigen Phase der Entspannung mit Massagebestandteilen. Danach ging das Üben wirklich viel besser. Die Stimme wurde weicher und voller. Manchmal nutze ich dieses Wissen, wenn ich gestresst nach Hause komme und kaum noch einen ungequälten Ton herausbe-komme.

Die Atemübungen nahmen einen sehr großen Teil der Zeit in Anspruch. Es dauert eine ganze Weile, bis man(n) auch unbewusst die Bauchatmung anwendet. Wer Chorsänger war oder ist, hat es da sicher leichter.

Sehr wichtig war für mich, dass ich in einem „geschützten“ Raum meine Stimme ausprobieren konnte. Sie änderte sich anfangs fast täglich. Nie wusste ich morgens, in welcher Tonlage ich am besten klar komme. Ich traute mich nicht mehr, laut zu sprechen. Diese Ängste wurden mir genommen.

Jetzt – nach mittlerweile 12 Sitzungen – sind wir dabei, das kräftige Sprechen neu zu lernen (damit meine Tochter nicht immer für mich rufen muss – *grins*). Da auch der Stimmumfang zur Zeit sehr gering ist, wollen wir in den letzten Stunden auch dort noch etwas üben.

Die Logopädin sagte mir, dass es sehr viele verschiedene Ansätze und Übungen gibt. Dadurch findet man für jeden Menschen, den man behandelt, garantiert auch etwas, woran er Spaß hat. Spaß an dieser Art von Behandlung ist sehr wichtig – sonst ist man ja gleich wieder verkrampft.

Mit Hilfe der Logopädin habe ich den gröbsten Teil des Stimmbruches überstanden ohne am Beratungstelefon auszufallen. Und meine Stimme gefällt mir nach nur 5 Monaten „Testo“ schon wunderbar.

Die logopädische Unterstützung kann ich jedem von uns nur empfehlen. Vorsichts-halber sollte man sich aber vorher nach der Kostenübernahme durch die Krankenkasse erkundigen.

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